Der deutsche Aktienmarkt startete am Morgen bullish - aber ab 14.00 Uhr sah er gar nicht mehr bullish aus. Derzeitiges Tief im Dax-Future: 10.811,50 Punkte. Der Kursrutsch, der ab dem frühen Nachmittag losgetreten wurde, ist ein schönes Lehrbeispiel dafür, was passiert, wenn Liquidität fehlt.
Der Screenshot zeigt einen 100-Tick-Chart. Im Unterschied zu den weit verbreiteten zeitbasierten Candle-Charts arbeitet ein Tick-Chart zeitunabhängig. Im Tick-Chart wird ein Trade als Tick bezeichnet, egal, ob dabei ein Kontrakt oder tausend Stücke den Besitzer wechseln. Ein Trade = ein Tick. Das sollte man nicht mit den Preisveränderungen verwechseln, denn im gemeinen Sprachgebrauch bezeichnet der Tick die kleinste mögliche Kursänderung in einem Handelsinstrument.
Im FDAX arbeite ich gern mit 100-Tick-Charts. Das hat den Vorteil, dass in ruhigen Marktphasen kaum neue Kerzen entstehen, da es schon mal fünf Minuten dauern kann, bis in der umsatzschwachen Mittagspause 100 Trades für eine neue Kerze zusammenkommen. Das andere Extrem: In schnellen Märkten können die 100 Trades in Sekundenbruchteilen zustande kommen. Da dann laufend neue Kerzen entstehen, sieht man erstens sehr schön die Geschwindigkeit des Order-Flow und zweitens die Punkte, an die man seine Stops nachziehen kann, die einem im zeitbasierten Chart verborgen bleiben.
In diesem Chart lässt sich schön erkennen, wie wichtig Liquidität und wie gefährlich das Fehlen selbiger ist. Zwischen etwa 12.00 und 14.00 Uhr bewegte sich der FDAX seitwärts in einer Range von weniger als 40 Punkten. Um 14.06 Uhr kommt es zum ersten Ausbruch unter das lokale Tief bei 11.001,50. Bis 14.30 Uhr entstehen zunächst 28 Kerzen und der Kurs fällt im Tief auf 10.940. Doch um 14.30 Uhr bricht der Damm: Als die ersten Stops unterhalb des neuen Tiefs getriggert werden, braucht es 20 Kerzen, also 2.000 Trades, die in 124 Sekunden entstehen - und der FDAX stürzt um 128,5 Punkte auf das derzeitige Tief von 10.811,5 Punkten. Wie ist eine solche rasante Bewegung möglich?
Sie ist eine Folge fehlender Liquidität. Hier wurden die Stops abgeräumt, die in der umsatzschwachen Mittagspause von privaten Händlern einfach ins System gestellt wurden. Das Domino-Prinzip sorgte dafür, dass nach dem Triggern der ersten Stops die aktiven Käufer aus dem Orderbuch verschwanden. Jeder getriggerte Stop-Verkauf wurde zum nächsten erreichbaren Kaufkurs ausgeführt, der um einige Punkte tiefer lag. Diese Ausführung triggerte neue Stops und die Lawine rollte bis 10.811,50. Erst dort traf der Markt wieder auf Nachfrage und bremste den freien Fall. In den 124 Sekunden wurden etwa 3.800 Kontrakte in 2.000 Trades gehandelt (mehr als fünf Prozent des gesamten Tagesumsatzes zu jener Zeit). Das ergibt weniger als zwei Kontrakte pro Trade. Das bedeutet: Hier waren nahezu ausschließlich Privat-Trader unterwegs, sonst wären die Stückzahlen erheblich größer.
Kann man solche Bewegungen voraussehen? Nein. Es war lediglich bekannt, dass um 14.30 Uhr der New Yorker Empire State Index veröffentlicht werden würde. Für gewöhnlich löst der keine Umsatzexplosionen aus - aber wenn schlechte Daten auf ein leeres Orderbuch treffen, kann es eben auch anders sein. Wer übrigens versuchte, in einem 2-Minuten-Chart den Kursrutsch zu shorten, hatte Pech. Da ist der ganze Spaß in einer einzigen Kerze verborgen und somit nicht handelbar. Ich möchte nicht wissen, wie viele CFD-Trader hier wieder von ihren Market-Makern rasiert wurden, weil die Spreads auf die Breite des Ärmelkanals ausgeweitet wurden.
Auch mein Trade ist sicher kein Meisterwerk hinsichtlich Ein- und Ausstieg. Ich wollte den Ausbruch unter 10.940 handeln, bekam aber für mein Stop-Limit keine Ausführung. Also setzte ich das Limit runter, ließ mich einstoppen und schloss den Trade nach 66 Sekunden.
Bevor nun aber jemand meinen Stundenlohn ausrechnet: Ich saß heute seit 08.00 Uhr am Rechner und habe auf gute Trades gewartet. Daytrading ist zum größten Teil eben eines: geduldiges Abwarten.
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