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    Kommt und geht: Der statistische Vorteil

    Zu den schwierigen Erkenntnissen eines Daytraders gehört es, seinen "Edge", also den statistischen Vorteil gegenüber anderen Marktteilnehmern, einzuschätzen. Viele Trader machen sich diese Mühe nicht, sie haben keine Ahnung, ob sie einen Vorteil haben und worin dieser bestehen könnte. Schwierig ist es auch anzuerkennen, dass dieser "Edge" kommt und geht - wie eine Straßenbahn. Ihm nachzulaufen macht, um Börsenaltmeister Kostolany abzuwandeln, keinen Sinn. Der heutige Vormittag lieferte dazu ein Paradebeispiel.  

    Die Märkte hatten fest eröffnet, der FDAX war in der Vorbörse stark gestiegen und mit dem Eintritt der Kassahändler stieg der Dax ebenfalls - bis auf ein Hoch bei 10.336,20 Punkten. Der FDAX notierte im Hoch bei 10.338. Die drei Zeitfenster des FDAX-Charts zeigen etwa 20 Minuten nach Kassaeröffnung ein einheitlich überkauftes Bild. Die Stochastik ist überkauft, die MACD-Linien und die MACD-Histogramme sind im überkauften Bereich. Im 10-Minuten-Chart sehen wir, dass die Kurse sogar oberhalb der "Euphorie"-Linie bei +5ATR Abweichung vom 84-Kerzen-Durchschnitt notieren. Die 09.10 Uhr-Kerze erreicht zwar ein Tageshoch, schließt aber unterhalb der Mitte der gesamten Kerzenlänge. Ein Zeichen von Schwäche? Hier hilft der Blick in die kleine Zeitebene, und siehe da: Der Force-Index schwächelt deutlich. Beim zweiten Run auf das Tageshoch entsteht ein niedrigerer Ausschlag. Die Amateure haben den Markt nach oben geschoben auf ein Level, wo Profis gern Stücke abwerfen. Worin bestand jetzt der statistische Vorteil? Wenn Stundenchart, 10min-Chart und 2min-Chart uni sono überkauft sind, gibt es eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass es zu einer Gegenbewegung kommt. Noch dazu, wo der Kassamarkt zu diesem Zeitpunkt rund 140 Punkte im Plus notiert, was für professionelle Verkäufer ein attraktives Niveau darstellen sollte. Ich steige per Stop-Limit-Verkauf zweimal in Folge short ein. Beide Trades gehen auf - ich werde einmal mit einem kleinen und einmal mit einem akzeptablen Gewinn ausgestoppt. Ich habe auch risikoseitig einen klaren Vorteil: Im 2min-Chart steige ich oberhalb des Median des Donchian-Channel ein, also relativ dicht am Kanal-Hoch. Wenn ich ausgestoppt werde, dann zügig und mit einem überschaubaren Verlust (mein Stop lag bei 10338). Dazu müsste der Markt ein neues Tageshoch erreichen. 

    Was hat sich gegen zehn Uhr geändert? Der 2min-Chart ist mittlerweile nicht mehr überkauft, sondern überverkauft. Das muss noch nicht das Ende der Abwärtsbewegung sein. Allerdings bedeutet es, dass in der kleinsten Zeiteinheit eine Gegenbewegung möglich ist. Immerhin befinden sich Stunden- und 10min-Chart noch in einer intakten Aufwärtsbewegung, die jederzeit wieder aufgenommen werden kann. Die drei Zeitfenster zeigen nicht mehr die gleiche Handelsrichtung an. Ein widersprüchliches Chartbild zu handeln ist wie Lotto: Es kann gutgehen, muss es aber nicht. Daher bleibe ich draußen. Unterhalb des Donchian-Median short einzusteigen würde auch bedeuten, dass ich vom Markt sehr spät ein Feedback bekäme, wenn ich falsch liege. 

    Die einzige Möglichkeit, von der sich anschließenden weiteren Abwärtsbewegung zu profitieren, wäre ein Handel des 2min-Trends gewesen - ohne Aus- und Wiedereinstieg. Dazu bin ich aber mental nicht in der Lage. Das würde nämlich bedeuten, den Trade eventuell noch einmal in den Verlust laufen zu lassen und den Stop erst nachzuziehen, wenn nach einer Aufwärtskorrektur ein neues Bewegungstief erreicht würde. Also ernte ich die tief hängenden Trauben und schließe den Trade. Wie erschöpft die Kraft der Verkäufer wenige Minuten nach zehn Uhr ist, zeigt der markierte Spike im Force-Index. Der hohe Umsatz in der 2min-Kerze führt nicht zu einem neuen Tief. Sollte ich jetzt long einsteigen? Stunden- und 10min-Chart warnen: Es kann noch weiter abwärts gehen.  

     

    Inzwischen ist der Markt tatsächlich weiter gefallen - ohne mich. Ich werde mich nicht ärgern. Erstens nützt Ärger nichts, er hält nur auf. Zweitens sollte man sein Glück nicht überstrapazieren. Je länger ein Abwärtstrend läuft, desto näher kommt er unweigerlich seinem Ende. Also mache ich Feierabend.

     

    Mehr zum professionellen Daytrading gibt es ab dem 28. September in meinem einwöchigen Intensiv-Coaching

      

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