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    Höhere Zinsen: Was bedeutet das für die Aktienmärkte? 

    Nach der Veröffentlichung des Protokolls der letzten Sitzung der Federal Reserve Bank (FED) am Abend des 18. November 2015 stiegen die US-Aktienindizes auf breiter Front. Der deutsche Leitindex kennt ebenfalls nur eine Richtung und springt heute über die 11.100. Der allgemeine Tenor: Während der nächsten Sitzung der amerikanischen Notenbank wird die faktische Nullzins-Politik in den USA beendet. Die Leitzinsen in den USA werden während der Sitzung, die für den 15. und 16. Dezember 2015 terminiert ist, angehoben. Die Frage ist lediglich: um wie viel Basispunkte? 

    Normalerweise reagieren Aktienmärkte mehr als verschnupft, wenn eine Notenbank die Zinsen anhebt. Der Grund ist einfach: Es wird für Unternehmen teurer, sich Geld zu leihen. Damit wird die Fremdfinanzierung von Wachstum erschwert, was wiederum den zukünftigen Unternehmensgewinn schmälert - was dann auf den Aktienkurs drückt. Gestern reagierten die Märkte hingegen positiv. Die Argumentation dieses Mal: Die Zinsanhebung sei ein Vertrauensbeweis, dass die US-Wirtschaft auf festen Füßen stehe und in der Lage sei, auch bei angehobenen Zinsen weiter zu wachsen. Es gibt sicher Argumente, die dafür sprechen, dass dieses Mal alles anders ist. Allerdings werde ich immer hellhörig, wenn jemand erklärt, dass das, was immer galt, plötzlich nicht mehr gilt.


    Es gibt augenblicklich tatsächlich keine Hinweise darauf, dass die Aktienmärkte wegen der Zinsanhebung kollabieren. Immerhin befindet sich die US-Wirtschaft tatsächlich auf einem soliden Wachstumskurs. Das Wachstumstempo ist niedrig, aber das kann bei einer Wirtschaft dieser Größe wohl auch nicht anders sein. Die Arbeitslosigkeit sinkt, die Inflation liegt darnieder, die Unternehmen verdienen prächtig.


    Trotzdem möchte ich zwei Argumente ins Feld führen, die mich für die Zukunft skeptisch machen.


    Erstens: Für viele Unternehmen, die in der Vergangenheit ihr Wachstum mit hohen Schulden finanziert haben, wird es ab 2016 schwieriger, die Darlehen zu bedienen. Die überbordende Liquidität und die Nullzinsen haben dazu geführt, dass auch zweit- und drittklassige Unternehmen durch Fremdmittel expandierten, sich über Wasser hielten und gerade so profitabel arbeiteten. Wenn man für einen Dollar Kredit bislang nur einen halben Cent Zinsen zahlen musste (ein halbes Prozent), ab nächstes Jahr aber vielleicht einen ganzen Cent (ein ganzes Prozent), dann ist das immer noch wenig. Gleichzeitig aber bedeutet es eine Verdopplung der Zinslast für den Schuldner. Finviz.com listet heute 34 Unternehmen mit einer Marktkapitalisierung von mehr als 2 Mrd. Dollar auf, deren Gewinnmarge negativ ist und deren Verbindlichkeiten das Eigenkapital um mehr als das Doppelte übersteigen. Ein Unternehmen wie Charter Communications, Inc., ein Anbieter von Kabelfernsehen, Internet- und Telefonservices, ist der Spitzenreiter: Bei einer Gewinnmarge von minus 2,10% hat das Unternehmen 554,68 mal mehr Schulden, als das Eigenkapital beträgt. Mit einer Marktkapitalisierung von 21 Mrd. Dollar ist Charter Communications immerhin die Nummer sieben der Branche. Mein Fazit: Es wird im kommenden Jahr etliche Unternehmen geben, die bei der Umschuldung ihrer Kreditlinien auf echte Probleme stoßen. Möglicherweise bahnen sich auch einige spektakuläre Pleiten oder Unternehmensverkäufe an. Für den Aktienmarkt ist das jedenfalls keine rosige Perspektive. 

    Zweitens: Steigende Zinsen werden zu Umschichtungen in den Finanzmärkten führen. Institutionelle Anleger wie etwa die kalifornische Pensionskasse CalPERS haben derzeit einen großen Teil ihres Geldes im Aktienmarkt angelegt. Bei CalPERS waren das zum 31. März 2015 160,7 Mrd. Dollar oder 53,6% der verwalteten Mittel. Festverzinsliche Anlagen (also Anleihen aller Art) machten nur 18,1% der Investments aus. Normalerweise ist das Verhältnis eher anleihenlastig, denn für eine Pensionskasse steht an erster Stelle der Erhalt der verwalteten Fonds und an zweiter Stelle ein starker Einkommensstrom, aus dem man die Renten der Mitglieder bezahlen kann. Wenn nun in Zukunft die Anleihenmärkte wieder einträgliche Zinsen abwerfen, wird also Geld aus dem Aktienmarkt abgezogen und neu im Anleihenmarkt investiert. Bei CalPERS ist das kurzfristige Ziel, den Aktienanteil auf 51% zurückzufahren und den Anleihenanteil auf 19% zu steigern.

             

     Die Summen, über die wir hier weltweit reden, haben viele Marktteilnehmer gar nicht auf dem Radar: Das tägliche Handelsvolumen der US-Aktien- und Anleihenmärkte beträgt 2015 bislang durchschnittlich 933,7 Mrd. Dollar. Davon entfallen aber nur 20,86% (194,8 Mrd. Dollar) pro Tag auf die Aktienmärkte. 79,14% des täglichen Wertpapierumsatzes in den USA, nämlich 738,9 Mrd. Dollar, entfallen auf die Anleihenmärkte (Quelle: sifma.org). Angenommen, das Handelsvolumen im Anleihenmarkt nimmt nach der Zinsanhebung nur um zehn Prozent zu - das wären etwa 74 Mrd. Dollar. Wenn dieses Geld aus dem Aktienmarkt kommen soll, würden dort statt 194,8 Mrd. Dollar nur noch 120 Mrd. am Tag umgesetzt - ein Kapitalabfluss von reichlich 38%. Nun ist das tägliche Handelsvolumen sicher ein sehr ungenauer Indikator, was aber als Fakt bleibt: Der Anleihenmarkt ist wertmäßig in den USA etwa vier Mal so groß wie der Aktienmarkt. Und da das Geld für die Investitionen in Anleihen irgendwo herkommen muss, wird wohl oder übel einiges aus dem Aktienmarkt abfließen. CalPERS etwa mit seinen 160 Mrd. Dollar in Aktieninvestments wird also in Zukunft auf dem Aktienmarkt als Netto-Verkäufer auftreten, andere institutionelle Anleger dürften ähnlich verfahren. Schließlich: Auch aus dem deutschen Aktienmarkt wird Geld in die USA zurückgeholt werden. Die Anlagefirma Blackrock meldet nahezu jeden Monat, dass meldepflichtige Beteiligungsschwellen an deutschen Firmen unterschritten wurden, d.h. es wurden große Aktienpakete abgestoßen.

     

    Ich will damit keinen Zusammenbruch der Aktienmärkte voraussagen. Solange die Wirtschaft in den USA wächst, sollten auch die Märkte stabil bleiben. Was ich aber nicht mehr sehe: Kurszuwächse im zweistelligen Prozentbereich für die bevorstehenden Jahre. Die Inflation der Aktienkurse wird zu Ende gehen. Institutionelle werden die hohen Kurse zum Abbau von Aktienpositionen nutzen. Sie werden in den nächsten Jahren ihre Anlagen zu Höchstpreisen an Privatanleger abladen. Wenn alles so ist, wie es immer war, dann ist der Privatanleger wie immer der berühmte Letzte, den die Hunde beißen.   

    Kommentare: 3 (Diskussion geschlossen)
    • #1

      Peter Schmid (Donnerstag, 19 November 2015 16:37)

      Danke für diesen Artikel, dem ich inhaltlich weitgehend zustimme. Es ist lediglich ein Aspekt, den ich gerne zur Diskussion stellen möchte: Konkret die Frage, ob wir tatsächlich am Beginn einer echten Zinswende stehen (also eine Situation, wo dem erwarteten Zinsschritt im Dezember relativ zügig weitere Zinsanhebungen folgen) oder nur vor einer kleinen Zinsanpassung der FED (ein Zinsschritt im Dezember, vielleicht noch einer im März und das war's dann schon wieder) als Zeichen des Endes der ultra-lockeren Geldpolitik. Ich vermute letzteres und dann würden auch zukünftig kaum nennenswerte Zinsen bezahlt werden, d.h. die Attraktivität der Risikoanlage Aktie gegenüber den vermeintlich sicheren Rentenpapieren bliebe erhalten.

    • #2

      Nils Gajowiy (Donnerstag, 19 November 2015 17:43)

      Danke für Ihren Kommentar - ich bin da bei Ihnen. Sicher dürfen wir nicht Leitzinsen von fünf oder acht Prozent erwarten, das würde das zarte Pflänzchen des Aufschwungs abwürgen. Dann könnten auch die USA, die ja jährlich ein riesiges Haushaltsdefizit über Anleihen finanzieren, ihre Zinsen nicht mehr bedienen. Es geht wohl eher um ein symbolisches Zeichen. Dass Aktien für den Privaten zweifellos interessant bleiben, ist richtig. Was aber anders wird: Die preistreibenden Einflüsse des lockeren Geldes, die wettbewerbsverzerrende Wirkung der Null-Zinsen und das Auftreten der Institutionellen als Aktien-Käufer fallen mittelfristig weg.

    • #3

      Oliver (Montag, 07 Dezember 2015 18:34)

      Danke für diesen hilfreichen Artikel. Auch wenn der Dax mein Lieblingsmarkt ist macht er mir zunehmend mehr Sorgen. Um Ende 2014 war er für mich wesentlich leichter zu handeln aber das ist ja auch immer das spannende am Trading selbst. Nochmals vielen Dank für diesen Artikel, ich bin mal gespannt wie es weiter geht.

      Gruß

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