Gegensätzlicher geht's kaum. Carl Icahn, ein milliardenschwerer Investor aus den USA, hat Ende April verkündet, sein gesamtes Aktienpaket an Apple verkauft zu haben. Warren Buffett, mit seiner Investmentgesellschaft Berkshire Hathaway um einige Milliarden schwerer, ist hingegen in den vergangenen Monaten mit rund einer Milliarde Dollar bei Apple eingestiegen. Das geht aus den Filings an die amerikanische Börsenaufsicht hervor. Seitdem streitet die Fangemeinde darum, ob es besser ist, Apple zu kaufen oder besser zu verkaufen. Wer hat Recht - Buffett oder Icahn?
Eine WARNUNG vorab: Ich bin selbst über Short Puts in Apple investiert - meine Meinung ist daher parteiisch und kann falsch sein. Entscheiden Sie bitte nur auf der Grundlage eigener Analysen!
"Sie haben weder Recht noch Unrecht, auch wenn die meisten Menschen eine andere Meinung vertreten. Sie haben Recht, weil Ihre Daten und Ihre Überlegungen richtig sind." Das schreibt der Vater des Value Investing, Benjamin Graham, in Kapitel 20 seines Klassikers "Intelligent Investieren". Das ist die Antwort auf die Frage. Betrachten wir also die Fakten, statt uns von Meinungen anderer leiten zu lassen.
Geht es um Fakten, denken die meisten aktiven Trader sofort an einen Chart. Der Wochenchart von Apple zeigt tatsächlich das Bild eines Abwärtstrends, der beim Allzeithoch von 134,54 Dollar am 28. April 2015 begann - also vor 13 Monaten. Der Kurs der Aktie ist seitdem in der Spitze um 33,5% gefallen - bis auf ein Tief am 12. Mai bei 89,47 Dollar. Es gibt trotz des intakten Abwärtstrends ein Kaufsignal für den technisch orientierten Trader: Am rechten Rand des Charts erkennen wir eine bullishe Divergenz. Das MACD-Histogramm tickt aufwärts und hat ein höheres Tief ausgebildet, als der Aktienkurs ein tieferes Tief erreicht hat. Die Lage des Kurses nahe der unteren Hülle des Kanals (ich nenne dies die "Paniklinie") spricht dafür, dass der Kurs sich stabilisieren könnte. Konjunktiv. Denn dass die Aktie in einen Aufwärtstrend dreht, bedarf eines Beweises - und vorerst sehen wir einen intakten Abwärtstrend. Indikativ.
Wer die Aktie traden möchte, könnte trotzdem auf den Gedanken kommen, sie zu kaufen, denn das Risiko ist begrenzt. Fällt der Aktienkurs unter 89,47 Dollar, also das letzte Tief, dann geht die Abwärtsreise weiter und man stiege wieder aus.
Da aber ein Warren Buffett keine Charts liest und die Aktien bereits vor Wochen gekauft wurden, kann das nicht der Grund sein, warum seine Investment-Officers Ted Weschler und Todd Combs eine knappe Milliarde Dollar in das Kultunternehmen gesteckt haben. Genauso wenig, wie der Abwärtstrend der Grund für Carl Icahns Ausstieg sein dürfte. Nicht der Chart, sondern fundamentale Fakten spielen eine Rolle.
Die letzten Quartalszahlen waren für Apple enttäuschend. Der Gewinn pro Aktie fiel von 2,33 Dollar auf 1,90 Dollar im Quartal. Die Umsatzerlöse sind gegenüber dem vierten Kalenderquartal 2015 um 33% gefallen, gegenüber dem Vorjahresquartal um 13%. Apple verkaufte weniger in Amerika, Europa, China und dem Rest von Asien - mit Ausnahme von Japan. Dort stieg der Umsatz auf Jahressicht um 24%. Die Verkäufe von iPhones brachen auf Jahressicht um 18% ein, die von iPads um 19%, Mac-Rechner brachten 9% weniger Erlöse. Es scheint also schlecht zu stehen um den Technologiegiganten aus Cupertino. Carl Icahn nahm denn auch die China-Schwäche zum Anlass für seinen Ausstieg. Er diagnostizierte eine "Feindseligkeit" der chinesischen Behörden gegenüber dem angebissenen Apfel.
Bei allen negativen Schlagzeilen darf aber auch die Kehrseite nicht vergessen werden. Das Unternehmen erlöste innerhalb eines Quartals 50,5 Milliarden Dollar. Nach wie vor hat Apple eine operative Gewinnmarge von 22,3%. Im Ausland lagern 150 Milliarden Dollar liquide Mittel - Geld, das Apple augenblicklich nicht zurück nach Amerika überweist, weil es darauf hohe Steuern zahlen müsste. Apple überweist aber schon reichlich Geld an den US-Fiskus: Die Steuerquote liegt bei 25,5%. Nach wie vor ist die Firma mit 525 Milliarden Dollar das am höchsten kapitalisierte Unternehmen der Welt.
Ja, es fehlt an Innovationskraft. Tim Cook hat nicht das Charisma eines Steve Jobs. Die letzten Apple-Produkte haben nicht mehr den WOW-Effekt des iPad oder des iPod. Ja, das Geld im Ausland ist ein Problem - aber nach den US-Präsidentschaftswahlen wird dieses wohl gelöst. Sicher nicht zu Lasten von Corporate America, denn ein ähnliches Problem plagt mittlerweile viele US-Firmen.
Ich sehe ein gesundes Unternehmen, das sich in einer schwierigen Transformationsphase von einer Wachstums-Story zu einem Substanzwert befindet. Diesen schmerzhaften Wandel mussten die Aktionäre von Microsoft, Intel, Cisco und vielen anderen Technologie-Veteranen bereits vor einem guten Jahrzehnt über sich ergehen lassen.
Wie sieht es aber nun mit der Bewertung der Aktie aus - ist ein Kauf aus fundamentaler Sicht riskant?
Berechnet man den fairen Wert der Aktie auf Basis der letzten zehn Jahre, dann dürfte der Kurs bei 267,49 Dollar stehen. Unterstellt man, die Aktie würde auf das durchschnittliche KGV der vergangenen zehn Jahre steigen (das lag bei 18), dann hätte der Kurs nach oben Luft bis 148,96 Dollar. Die Firma belohnt ihre Aktionäre mit einer seit 2012 jährlich steigenden Dividende: von 0,38 Dollar stieg die auf 2,18 im vergangenen Jahr. Und vor wenigen Wochen hat der Aufsichtsrat eine weitere Dividendensteigerung auf 2,28 Dollar verkündet. Okay, die Dividendenrendite ist nicht üppig - lediglich 2,4%. Aber die Steigerungsrate von 73,4% jährlich ist um so üppiger. Aus 10.000 Dollar, die man 2007 in Apple investiert hätte, wären bis heute 43.430,79 Dollar geworden. Und ganz nebenbei hätte man schon 3.127 Dollar Dividenden kassiert, also gut 31% des investierten Geldes zurückerhalten. Durch das Dividendenwachstum läge nach knapp fünf Jahren die Rendite auf Kostenbasis bei 9,0% - Stand Dezember 2015. Die Ausschüttungsquote liegt bei 21% - das lässt Raum für weitere Steigerungen, selbst wenn es dem Unternehmen nicht mehr glänzend, sondern nur noch gut gehen sollte. Kurz: Nach Benjamin Graham gibt es eine Sicherheitsmarge - wenig Risiko nach unten und viel Luft nach oben.
Apple wird derzeit von 45 Analysten beobachtet und die schätzen den Gewinn pro Aktie für 2016 auf 8,29 Dollar, für 2017 auf 9,18 Dollar. Nun ist die Frage, wie gut die Analysen sind. In der Vergangenheit war es so, dass die Ergebnisschätzungen der Analysten vom Unternehmen auf Jahressicht zu 73% getroffen oder übertroffen wurden. Auf Zweijahrssicht waren es 85%. Man darf den Analysten also eine gewisse Professionalität unterstellen. Vorsicht: Hier geht es nicht um Prognosen des Aktienkurses, sondern um Gewinnschätzungen. Das ist ein himmelweiter Unterschied.
Unterstellt man, dass der Aktienkurs dem Wert des Unternehmens folgen wird und sich dem 15fachen des Jahresgewinns pro Aktie nähern wird, so ergibt sich aus der Gewinnschätzung von 9,18 Dollar ein theoretisch möglicher Aktienkurs von 137,70 Dollar zum Ende des nächsten Geschäftsjahres am 30. September 2017. Wie gesagt: Dies ist qualifizierte "Kaffeesatzleserei", denn wenn der Aktienkurs bislang nicht dem Wert gefolgt ist, kann ihn niemand zwingen, das in den kommenden 15 Monaten zu tun. Verdeutlichen soll die Schätzung nur eines: Auch hier gibt es mehr Luft nach oben als Risiko nach unten.
Auf Basis der vorliegenden Fakten und Schätzungen sehe ich Apple als weitgehend sicheres Investment. Was mich stört, ist die niedrige Dividendenrendite. Die Preisfrage: Wie kann ich mit Apple 3% Dividende erzielen?
Die Zahltag-Strategie hat hier eine Antwort parat: Ich warte auf einen Kaufpreis unterhalb von 76 Dollar. Denn bei einer Dividende von 2,28$ und einem Kurs von 76$ würde die Rendite auf 3% ansteigen.
Nun ist die Börse kein Wunschkonzert und ich kann mir den Aktienkurs nicht aussuchen. Oder doch? Ich habe einen 75er Put auf Apple verkauft. Sollte der Kurs bis 21. Oktober unter 75 Dollar fallen, würde ich 100 Apple-Aktien für den Strike-Preis von 75 Dollar bekommen. Bei der nächsten Dividendenzahlung wäre ich mit meiner Wunschrendite von 3,04% dabei. Für das Warten auf den Kurssturz werde ich übrigens als Put-Verkäufer bezahlt. In diesem Falle gab es 94 Dollar Prämie, die jemand bezahlt hat, der einen Kurssturz auf 75 Dollar fürchtet und sich dagegen versichert hat, indem er den Put gekauft hat. Die Prämie kann ich in jedem Fall behalten, so dass mein faktischer Kaufpreis für Apple dann bei 75,00 minus 0,94 = 74,06 Dollar läge. Zu diesem Kurs gab es die Aktie letztmalig im Frühjahr 2014. Damals verdiente Apple 6,45 Dollar pro Aktie - also 22% weniger als heute. Ein solcher Gewinneinbruch ist aber selbst nach den derzeitigen pessimistischen Prognosen nicht in Sicht. Meiner Meinung nach sprechen die derzeitigen Kurse eher für einen Einstieg in die Aktie, als für einen Verkauf.
Wie schreibt Benjamin Graham:
"Wenn du zu einem Entschuss gekommen bist, der sich auf Fakten gründet, und wenn du weißt, dass dein Urteilsvermögen vernünftig ist, dann solltest du danach handeln - selbst wenn andere zögern oder anderer Meinung sind."
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